Zeichen

20.03.2017 -  

Etwas (eine Lautgestalt, ein Abbild, ein Bildnis, ein Gegenstand, eine Handlung, ein Ereignis), das auf mehr verweist als bloß auf sich selbst und daher eine Form (Ausdruck (2), Bezeichnendes) und eine Bedeutung (Inhalt, Intension, Bezeichnetes, → Denotat (1, 2), → Denotation (1, 2), Designat (1)), gegebenenfalls auch ein Referenzobjekt oder eine Klasse von Referenzobjekten ( Referent, Extension,  Denotat (3),  Denotation (3),  Designat (2)) hat: „A sign is something which stands to somebody for something in some respect or capacity.“ (Peirce, 2.228). Der Saussureschen Dichotomie von Langue und Parole entsprechend ist zwischen der „Z.gestalt“ (Type) und dem „Z.exemplar“ (Token) zu unterscheiden. Z. sind Bestandteile von Kodes (Kode) und (mit Ausnahme der natürlichen Anzeichen, Index, Symptom) konventionell zumindest im Sinne der (zwischen Sender und Empfänger) wechselseitig unterstellten Erkennbarkeit des intentional ( Intention, Intentionalität) Gemeinten (vgl. Lewis 1969). Z. aller Art sind entweder einfach oder komplex, d.h. nach Regeln zusammengesetzt. Das Z. ist Gegenstand der → Semiotik mit ihren nach den drei Bezugsdimensionen des Zeichens (kognitive Bedeutung, kommunikativ-soziale Verwendung und grammatisch-regelhafte Kombinatorik) unterschiedenen Teildisziplinen Semantik, Pragmatik und Syntax (bzw. Syntaktik). Insofern ist die sich den Sprachzeichen widmende Linguistik Teil der Semiotik.

1. Monolateral im Sinne der Form, Ausdrucksseite, Z.gestalt, der freilich notwendig eine (als Begriff vorgestellte, unabhängig von der Form bestehende) Bedeutung zugehört. So z.B. im Logischen Positivismus: bei G. Frege, der das Z. in „Über Sinn und Bedeutung“ (zuerst 1892) auch mit „Name, Wortverbindung, Schriftzeichen“ (1994, 41) umschreibt und zeigt, „daß dem Zeichen ein bestimmter Sinn (1) und diesem wieder eine bestimmte Bedeutung (1) entspricht“ (ebd., 42); bei R. Carnap (1934), der das Z. explizit als „Ausdruck“ bestimmt, oder beim frühen L. Wittgenstein, der 1921 schreibt: „Das Zeichen ist das sinnlich Wahrnehmbare am Symbol“ (1989, 3.32) und in seinen Vorlesungen erklärt: „Das Zeichen ist der Schriftzug bzw. der Laut. Wir geben dem Schriftzug bzw. dem Laut – dem Wort – Bedeutung, und damit wird es im sinnvollen Satz verwendet.“ (1984, 48) Auch Wittgensteins spätere Gleichsetzung der Bedeutung mit „Gebrauch“ bzw. „Erklärung der Bedeutung“ ( Bedeutung (2)) in den Philosophischen Untersuchungen (§ 560) macht nur bei Trennung zwischen Z. und Bedeutung einen Sinn. Im Ggs. zu den meisten seiner logisch-positivistischen Nachfolger (aber im Einklang mit der idealistischen Humboldt-Sapir-Cassirer-Weisgerber-Tradition) hat Frege auch auf die kognitiv-konstitutive Leistung des Zeichens hingewiesen: „Wir würden uns ohne Zeichen auch schwerlich zum begrifflichen Denken erheben. Indem wir nämlich verschiedenen, aber ähnlichen Dingen dasselbe Zeichen geben, bezeichnen wir eigentlich nicht mehr das einzelne Ding, sondern das ihnen Gemeinsame, den Begriff. Und diesen gewinnen wir erst dadurch, daß wir ihn bezeichnen; denn da er an sich unanschaulich ist, bedarf er eines anschaulichen Vertreters, um uns erscheinen zu können. So erschließt uns das Sinnliche die Welt des Unsinnlichen.“ (1879, 107f.)

2. Bilateral im Sinne der assoziativen Einheit von Form, Ausdrucksseite, Z.gestalt ( Bezeichnendes) einerseits und Bedeutung, Inhaltsseite, Vorstellung ( Bezeichnetes) andererseits. So bei F. de Saussure (zuerst 1916): „Ich nenne die Verbindung der Vorstellung mit dem Lautbild das Zeichen; dem üblichen Gebrauch nach aber bezeichnet dieser Terminus im allgemein das Lautbild allein, z.B. ein Wort (arbor usw.).“ (1968, 78) Dem Wesen nach bilateral ist auch die Z.konzeption K. Bühlers (1934), der in seinem „Organonmodell“ ( Bühler'sches Organonmodell) das „konkrete Schallphänomen“ von „Ausdruck“, „Darstellung“ und „Appell“ als den „drei variablen Momenten“ unterscheidet, die es „dreimal verschieden zum Rang eines Zeichens [...] erheben.“ (1934, 28) Bühler selbst spricht zwar von der „Mehrseitigkeit“ seines Modells, doch können die drei Funktionen des Zeichens: „Symptom“ der Innerlichkeit des Senders, „Symbol“ der bezeichneten Gegenstände und Sachverhalte und „Signal“ zur Steuerung des Hörerverhaltens zu sein, nur als drei verschiedene Momente derselben Inhaltsseite begriffen werden. Innerhalb des gesamten linguistischen Strukturalismus wurde die bilaterale Konzeption des Zeichens beibehalten (und auch in der Informationstheorie, denn anders ergibt die Rede von Enkodieren und Dekodieren [ Kodierung] wenig Sinn). Bei aller Ähnlichkeit des strukturorientierten Denkens unterscheiden sich Sprachanalytische Philosophie und linguistischer Strukturalismus also deutlich hinsichtlich der zugrunde gelegten Z.konzeption, wobei die bilaterale, im Ggs. zur monolateralen, zumidest die starker Version nominalistischer Deutungen ausschließt. Aus der unbestreitbaren Tatsache, dass Z. per definitionem Bedeutung haben, folgt aber nicht, dass diese in einem strengen Sinne „Teil“ des Zeichens sei.

3. Relational oder prozessual im Sinne der unendlichen Semiose. So der das Z. als potentiellen Auslöser von (selber zeichenhaften) Interpretationen bestimmende Z.begriff der Semiotik. Für deren Begründer, Ch.S. Peirce, ist ein Z. oder „Repräsentamen“ alles, „was in einer solchen Beziehung zu einem Zweiten steht, das sein Objekt genannt wird, daß es fähig ist ein Drittes, das sein Interpretant genannt wird, dahingehend zu bestimmen, in derselben triadischen Relation zu jener Relation auf das Objekt zu stehen, in der es selbst steht. Dies bedeutet, daß der Interpretant selbst ein Zeichen ist, der ein Zeichen desselben Objekts bestimmt und so fort ohne Ende.“ (2.300) Das Z. ist hier vorgestellt als irgendeine materielle Gestalt, die insofern über sich hinausweist, als sie durch funktionsgleiche andere materielle Gestalten ersetzt werden kann. Dabei wird auch der Gedanke als möglicher Interpretant und damit als Z. aufgefasst. Insofern kann Peirce des Weiteren über die „drei Bezüge“ des Zeichens schreiben: „erstens ist es ein Zeichen in Relation zu einem Gedanken, der es interpretiert; zweitens ist es ein Zeichen für ein Objekt, für das es jenem Gedanken gleichbedeutend steht, drittens ist es ein Zeichen in einer Hinsicht oder Qualität, die es mit seinem Objekt in Verbindung bringt.“ (5.283) Die einzige „geistige Wirkung“, die ein Z. erzielen kann und die nicht selber – als Gedanke – wiederum ein Z. ist, besteht in der Änderung von „Verhaltensgewohnheiten“. An diese Argumentation Peirces knüpft Ch.W. Morris (1946) an, der das Z. behavioristisch definiert: „Wenn irgend etwas, A, ein vorbereitender Reiz ist, der bei Abwesenheit von Reizobjekten, welche Reaktionsfolgen einer bestimmten Verhaltensfamilie zu initiieren pflegen, eine Disposition in einem Organismus verursacht, unter bestimmten Bedingungen durch Reaktionsfolgen dieser Verhaltensfamilie zu reagieren, dann ist A ein Zeichen.“ (173, 84) An Peirce anschließend unterscheidet Morris vier Komponenten des prozessual vorgestellten Zeichens, nämlich „Zeichenträger“, „Designat“, „Interpretant“ und „Interpret“. Dabei sind „die Eigenschaften, ein Z., ein Designat, ein Interpret oder ein Interpretant zu sein, [...] relationale Eigenschaften, welche die Dinge annehmen, wenn sie am Funktionsprozeß der Semiose beteiligt sind.“ (1975, 21) Aus ganz anderem, nämlich materialistischen Blickwinkel sieht A. Schaff (1973) „informieren“ und „mitteilen“ als die Hauptfunktionen des Zeichens an, schließt sich aber ansonsten dem weiten, im übrigen – besonders deutlich bei G. Klaus (1963) – eher monolateral zu nennenden Z.begriff der Semiotik an, wonach nicht nur konventionelle Signalträger, sondern auch die kausalen Anzeichen zu den Z. gerechnet werden: „Jeder materielle Gegenstand, seine Eigenschaft oder ein materielles Ereignis werden zum Zeichen, wenn sie im Prozeß der Kommunikation und im Rahmen der von den Gesprächspartnern angenommenen Sprache zur Mitteilung irgendeines Gedankens über die Wirklichkeit dienen, d.h. über die äußere Welt oder über das Innenleben (emotionale, ästhetische, volitionale Erlebnisse usw.) einer der am Kommunikationsakt teilnehmenden Seiten.“ (Schaff 1973, 163) Als Grundtypen des so prozessual/relational bestimmten Zeichens, der neben der konventionellen auch die spontane, kreative Z.bildung zulässt, werden daher schon bei Peirce Index, Ikon und Symbol unterschieden. Detailliertere Z.typologien finden sich u.a. bei A. Schaff (1973, 164ff.), U. Eco (1977, 37ff.) und Th.A. Sebeok (1979, 91ff.).

4. Bilateral, kodeabhängig und zugleich relational-prozessual im Sinne der unendlichen Semiose. U. Eco bestimmt das Z. einerseits strukturalistisch als „Korrelation eines Signifikanten mit einer Einheit (oder einer Hierarchie von Einheiten), die wir als Signifikat definieren“ (1977, 167), betont seine „semiotische Autonomie“ gegenüber den Gegenständen, auf die es bezogen werden kann, und hebt hervor, dass ein Z. dann vorliege, „wenn durch Vereinbarung irgendein Signal von einem Kode als Signifikant eines Signifikats festgelegt wird“ (ebd.), interpretiert dabei jedoch andererseits den dem Ausdruck korrelierten Inhalt peirceanisch im Sinne der Ersetzbarkeit durch Interpretanten. Z.bedeutungen sind „kulturelle Einheiten“ (ebd., 176ff.; 172, 74ff.), die – je kulturspezifisch – Interpretanten „konnotieren“ ( Konnotation (3)). War Eco zunächst noch stärker vom linguistischen Strukturalismus (und natürlich von Peirce) beeinflusst, so hat er in späteren Arbeiten (1985, 1987) deutlicher den weiten Z.begriff der Semiotik vertreten, das Z. – im Rahmen des Konzeptes der unendlichen Semiose nunmehr unübersehbar als dynamischen Prozess bestimmt und, in Anlehnung an Morris, vorgeschlagen, „alles das Zeichen zu nennen, was aufgrund einer vorher festgelegten sozialen Konvention als etwas aufgefaßt werden kann, das für etwas anderes steht.“ (1987, 38) Von hierher hat er die seit Peirce geläufige typologische Unterscheidung von Ikon, Index und Symbol kritisiert und die Typologie der Z. durch eine Typologie ihrer Erzeugungsmodi zu ersetzen versucht. 5. Soziokulturell eingebettet im Sinne der mit Hilfe einer Z.gestalt vollziehbaren „Zeigehandlungen“ bzw. „Zeigehandlungsschemata“. So die pragmatisch-semiotische Konzeption von H. Seiffert (1969) und J. Trabant (1996), der allerdings zugleich (terminologisch weniger überzeugend) semiotisch verwendete „bestandhafte Dinge“ wie Verkehrs-, Schrift- oder Abz. als zu „Marken“ „erstarrte“ Zeigehandlungen von den zeitlich ablaufenden eigentlichen Zeigehandlungen unterscheidet (vgl. ebd., 107ff.).

Semiotik, Semiologie, → Zeichenfunktionen, → Zeichenkonzeptionen, Zeichenmodelle, → Zeichentypen, → Zeichentypologie

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