Komponentenanalyse

09.01.2017 -  

[engl. componential analysis, frz. analyse componentielle, russ. компонентныйанализ]

Auch: Komponential-, Merkmalsanalyse. V.a. in der Generativen und Interpretativen Semantik verwendetes Verfahren, das auf der mentalistischen ( Mentalismus) bzw. konzeptualistischen These beruht, dass sich Wortbedeutungen aus einer Menge atomarer, kognitiver oder begrifflicher Bedeutungselemente (semantische Merkmale, Sem) zusammensetzen, die mit Hilfe universaler (aber am Ende faktisch doch je einzelsprachlich bezeichneter) Kategorien beschrieben werden können. Der K. liegt letztlich die Idee eines sich nach differentiae specificae ( Differentia specifica) binär verzweigenden Porphyrischen Baums ( Arbor Porphyriii) zugrunde (vgl. Eco 1985, 77ff.). Zwar geht es der K. nicht um eine durchgängige, allumfassende Klassifikation der Welt, sondern vielmehr um die Beschreibung von Wortbedeutungen mit Hilfe eines begrenzten Kategorieninventars, doch wird versucht (neben dem Hinweis auf die syntaktische Markierung), diese semantische Beschreibung, auf dem Wege vom Abstrakten zum immer Konkreteren, im Wesentlichen auf der Grundlage der Begriffe zu leisten, die im Porphyrischen Baum jeweils die differentiae markieren: [± Konkret], [± Belebt], [± Menschl.], [± Männl.], [± Erwachsen] usw. Auf diese Weise ergibt sich für Junge etwa der Lexikoneintrag [+ Nomen], [+ Zählbar], [+ Konkret], [+ Belebt], [+ Menschl.], [+ Männl.], [- Erwachsen] oder für Auto die Beschreibung [+ Nomen], [+ Zählbar], [+ Konkret], [- Belebt], [+ Allgemein], [+ Zum Fahren], [+ Motorantrieb]. Dass besonders Abstrakta auf diese Weise nur schwer vollständig zu beschreiben sind, zeigt schon die Tatsache, dass U. Weinreich (1966) die Analyse von Wahrheit nur bis [+ Nomen], [- Verb], [+ Zählbar], [- Konkret] getrieben hat (vgl. 1970, 92). Mit Recht hat z.B. J. Lyons (1977) vor „Übergeneralisierungen“ gewarnt und darauf hingewiesen, dass dichotomische Merkmale wie [± Erwachsen] und [± Männl.] zur Bestimmung und Differenzierung der Bedeutungen von Frau, Mann, Mädchen und Junge noch nicht ausreichen (vgl. 1980, 327ff.). Einzelne Wortschatzausschnitte, z.B. die Bezeichnungen für Lebewesen oder die Verwandtschaftsbezeichnungen (vgl. Bierwisch 1969) in den verschiedenen Sprachen, lassen sich mit Hilfe eines solchen binären Merkmalsrasters semantisch recht gut beschreiben, die Aufstellung eines binären Kategorienrasters für den Gesamtwortschatz (also eines solchen, das vollkommen zureichende Beschreibungen für so extrem weit auseinanderliegende Lexeme wie Arbeitsagentur, Aufrichtigkeit, Ameise und Amethyst bereitstellen würde) ist jedoch in praxi unmöglich. Daher wurden die spezifisch semantischen Merkmale von den Vertretern der K. als „distinguishers“ gesondert erfasst (vgl. Katz/Fodor 1963, 185ff.; Katz/Postal 1964, 13ff.; Katz 1972 sowie Eco 1987, 141ff.). Außerdem erfordert die semantische Beschreibung von Verben andere semantische Marker/Merkmale als die von Substantiven oder Adjektiven ( Generative Semantik), besonders dann, wenn es sich um mehrstellige Prädikate handelt (z.B. lieben, danken, geben). Weil jedoch die zwischen den Wörtern im Satz waltenden Selektionsrestriktionen ( Selektionsrestriktion) in der Regel nur abstraktere Merkmale betreffen, die in binären Baumgraphen an den höchsten Knoten stehen, haben sich die K. (in der Interpretativen Semantik) und die von ihr bereitgestellten Merkmalsmatrizen als nützliche Mittel zur Beschreibung des Amalgamierungsprozesses ( Amalgamierung) im Satz erwiesen. Die Thesen von der Universalität und Atomizität der „semantic markers“ sind jedoch weder empirisch noch theoretisch haltbar. Ein Ausweg aus der starren Bedeutungskonzeption der K., nach der die Intension oder Begriffsinhalt eines Wortes ein wohldefiniertes Set semantischer Merkmale darstellt, die dann ihrerseits exakt bestimmen, welche Entitäten als Extension oder Begriffsumfang unter sie fallen, führt in die Stereotypensemantik (s. Putnam 1979). Eine relativ weite Auffassung von K. vertritt J. Lyons (1977), wenn er sie als den Versuch bezeichnet, die Feldtheorie ( Wortfeld) „auf eine sichere theoretische und methodologische Basis zu stellen“ (1980, 336) und die strukturalistischen Positionen L. Hjemslevs und R. Jakobsons sowie die gesamte strukturelle Semantik deswegen als dazugehörig betrachtet, weil auch hier Bedeutungen/Inhalte in Komponenten analysiert werden (vgl. ebd, 327f.). Wie Henne (1972, 66ff.) gezeigt hat, liegen komponentielle Verfahren im weiteren Sinne auch schon den semantischen Analysen von Adelung, Campe und Eberhard (18./19. Jh.) zugrunde.

Bedeutung, Semantik, Binarismus,

Lit.: Baumgärtner, K., Die Struktur des Bedeutungsfeldes. In: Satz und Wort im heutigen Dt. 1967, 165-197. Bierwisch, M., Strukturelle Semantik. In: Deutsch als Fremdsprache 6.1969, Heft 2, 66-74. Eco, U., Semiotik und Philosophie der Sprache. 1985. Ders., Semiotik. Entwurf einer Theorie der Zeichen. 1987. Goodenough, W., Componential analysis and the study of meaning. In: Lg 32.1956, 195-216. Henne, H., Semantik und Lexikographie. Untersuchungen zur lexikalischen Kodifikation der deutschen Sprache. 1972. Hundsnurscher, F., Neuere Methoden in der Semantik. 1970. Katz, J.J., Semantic Theory. 1972. Katz, J.J./Fodor, J.A., The structure of a semantic theory. In: Lg 39, 170-210. Katz, J.J./Postal, P.M., An Integrated Theory of Linguistic Description. 1964. Kühlwein, W., Die Komponentenanalyse. in der Semantik. In: Linguistics 96.1973, 33-55. Lounsbury, F.G., The structural analysis of kinship semantics. In: Lunt, H. (Hrsg.), Proceedings of the 9th International Congress of Linguistics. 1963, 1073-1093. Lyons, J., Introduction to Theoretical Linguistics. Cambridge 1968. dt. Einführung in die moderne Linguistik. 1971. Lyons, J., Semantics. Vol. 1.. 1977. dt. Semantik. Bd. 1. 1980. Nida, E., Componential Analysis of Meaning. An introduction to semantic structures. 21979.Putnam, H., Die Bedeutung von „Bedeutung“. 1979. Weinreich, U., Explorations in Semantic Theory. In: Current Trends in Linguistics 3.1966, 395-477. dt. Erkundungen zur Theorie der Semantik. 1970. AB

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