Kopenhagener Schule

[engl. Copenhagen School, frz. école de Copenhague, russ. Копенгагенский лингвистический кружок]

Von Louis Hjelmslev und Viggo Brøndal 1933 gegründetes Zentrum strukturaler (→ Strukturalismus) Sprachwissenschaft, das aus dem bereits im Jahr 1931 zusammengekommenen Cercle Linguistique de Copenhague entstand. Die K.S. nahm als erste Schule überhaupt das Epitheton „strukturalistisch“ für sich in Anspruch (vgl. Albrecht 1988, 61f.) und verfolgte fortan eine eng strukturalistische Auffassung der Sprache, was sich in den beiden Publikationsorganen, der Travaux du Cercle Linguistique de Copenhague und der Acta Linguistica äußerte. Das daraus hervorgegangene Arbeitsprogramm mit der Bezeichnung der „Phonematik“ von Louis Hjelmslev und Hans Jørgen Uldall wurde einige Zeit später in den Ansatz der → Glossematik umbenannt und ist „wie keine andere Variante der strukturellen Linguistik der Sprachtheorie F. de Saussures verpflichtet.“ (Bartschat 1996, 112) Weitergeführt wurde hier vor allem Saussures Auffassung der Sprache als eines Systems von Zeichen, das Hervorheben eines Systems von Relationen sowie seine (eher angedeuteten) Überlegungen zu Form und Substanz (vgl. Hjelmslev 1974, 1-3; Bartschat 1996, 113). Die → strukturale Linguistik ist für Hjelmslev eine Forschungshypothese sowie Forschungsprogramm und umfasst das Ziel, eine deduktive Sprachtheorie in Form eines mathematischen Modells zu entwickeln. (Vgl. Barth 1974, VII) Das geplante, aber nur in Teilen umgesetzte Werk Synopsis of an Outline of Glossematics (1936) von Hjelmslev und Uldall führt in die Theorie der Glossematik ein und versucht, über eine immanente Methode und objektive Analyse „die Linguistik als eine exakte Wissenschaft zu konstituieren.“ (Hjelmslev/Uldall 1974, 1) Wie (nach Ansicht der Autoren) schon bei Saussure wird hier zwischen Form und Substanz einer Sprache unterschieden, wobei die Form auf der Ebene des Ausdrucks (→ Phonem) und auf der Ebene des Inhalts (Struktureinheiten der Bedeutung) beschrieben wird (vgl. Bartschat, 110-117). Die Substanz hingegen sei das nicht-einzelsprachliche Korrelat der Form und meine auf der Ausdrucksebene alle artikulierbaren Laute (Lautsubstanz, → Phonetik) und auf der Inhaltsebene alle denkbaren Vorstellungen (→ Bedeutung (2), → Semantik). Die Substanz sei regellos, amorph und bedürfe der Formung, weshalb Hjelmslev die Phonetik und Semantik zu Hilfswissenschaften deklarierte (vgl. Bartschat 1996, 116; Hjelmslev 1974, 68). Mit der Glossematik versuchte er, die Inhalts- und Ausdrucksseite des sprachlichen Zeichens (→ sprachliches Zeichen) nach einheitlichen Grundsätzen zu beschreiben. Der Erkenntnis einer exakten Struktur des Phonemsystems folgend, wurde deren strukturale Entsprechung auf der Inhaltsseite gesucht (vgl. Helbig 1971, 60f.). Das sprachliche Zeichen besteht für Hjelmslev aus Ausdrucks- und Inhaltsform und den dieser Form zugeordneten Substanzen.

Hjelmslev beschreibt in Die strukturale Analyse der Sprache fünf grundlegende Merkmale, die in der Grundstruktur jeder Sprache enthalten sind:

„1. Eine Sprache besteht aus einem Inhalt (content) und einem Ausdruck (expression).
2. Eine Sprache besteht aus einem Verlauf (succession) oder einem Text, und einem System.
3. Inhalt und Ausdruck sind durch Kommutation miteinander verbunden.
4. Es gibt bestimmte Relationen innerhalb des Textes und des Systems.
5. Es besteht kein Eins-zu-eins-Verhältnis zwischen Inhalt und Ausdruck, sondern die Zeichen sind in kleinere Komponenten zerlegbar. Solche Zeichenkomponenten sind z.B. die sogenannten Phoneme – die wir vorziehen, Taxeme des Ausdrucks zu nennen –, die selbst keinen Inhalt haben, aus denen aber Einheiten mit einem Inhalt, z.B. Wörter, gebildet werden können.“ (Hjelmslev 1974, 69)

Ferner geht Hjelmslev von dem Umstand aus, dass jede Sprache die Substanz für sich in eine Form bringt. Bsp.:

(dt.) Baum – Holz – Wald                          (dän.) trae – skov

Das deutsche Wort Holz nimmt Teile der Substanz von trae und skov in sich auf, sodass Baum und Wald eine engere Bedeutung bekommen. Die Substanz wird in den beiden Sprachen an dieser Stelle unterschiedlich geformt. Als Weiterführung dieser Überlegungen beschreibt Hjelmslev in der Arbeit Der stratische Aufbau der Sprache (1954) die vier „Strata“, Ebenen, der Sprache:

Ausdrucksform – Ausdruckssubstanz
Inhaltsform – Inhaltssubstanz (vgl. Bartschat 1974, 116f.; Hjelmslev 1974, 76-104)

Weitere Vertreter der Glossematik waren u.a. J. Holt, der das Studium der „Inhaltsform“ (→ Pleremik) vorantrieb sowie A. Stender-Petersen und J. Johansen, die sich darum bemüht haben, die Theorie der Glossematik auf die Literatur anwendbar zu machen (vgl. Albrecht 1988, 63).

Die K. S. wurde hauptsächlich für die „Unfruchtbarkeit“ der theoretischen Entwicklungen kritisiert; Jörn Albrecht konstatiert, die Schule habe auf dem Gebiet der praktischen Sprachforschung nicht viel vorzuweisen. Eine Kritik der Glossematik findet sich vor allem bei Martinet (Besprechung der Prolegomena Hjemlslevs, 1946), Malmberg (1962/66), Robins (1973) und Coseriu (1954/67/81). (Vgl. genauer: Albrecht 1988, 65f.)

Lit.: Albrecht, J., Europäischer Strukturalismus. 1988 (= UTB, 1487). Barth, E., Zur Sprachtheorie von Louis Hjelmslev. In: Hjelmslev, L., Aufsätze zur Sprachwissenschaft. 1974. V-XX. Bartschat, B., Methoden der Sprachwissenschaft. Von Hermann Paul bis Noam Chomsky. 1996. Helbig, G., Geschichte der neueren Sprachwissenschaft. Unter dem besonderen Aspekt der Grammatik-Theorie. 1971. Hjelmslev, L., Der stratische Aufbau der Sprache. In: Ders., Aufsätze zur Sprachwissenschaft. 1974. 76-104. Ders., Die strukturale Analyse der Sprache. In: Ders., Aufsätze zur Sprachwissenschaft. 1974. Ders./Uldall, H.J., Synoptischer Abriß der Glossematik. In: Hjelmslev, L., Aufsätze zur Sprachwissenschaft. 1974. 1-6. JW

Letzte Änderung: 01.10.2024 - Ansprechpartner: Webmaster