Unwort

Wort oder Wendung aus dem öffentlichen Sprachgebrauch, das bzw. die aufgrund sprachkritischer Überlegungen ( Sprachkritik) unter ästhetisch-formalen und/oder ethisch-moralischen Gesichtspunkten als verwerflich eingestuft wird.

  1. Nach H.D. Schlosser (2007) ein im öffentlichen Sprachgebrauch existierendes Wort, das gemieden werden sollte, weil es andere beleidigt bzw. verletzt oder moralisch nicht akzeptable Implikationen hat. Populär geworden ist der Begriff durch die sprachkritische Aktion „U. des Jahres“, die 1991 von Schlosser an der Universität Frankfurt ins Leben gerufen wurde. Seither kürt die zuständige Jury das U. einmal im Jahr. Zunächst wurde das U. des Jahres im Rahmen der Gesellschaft für deutsche Sprache gewählt und bekanntgegeben. Seit 1994 ist die Aktion jedoch institutionell unabhängig. Die eigentliche U.-Jury besteht aus vier ständigen Mitgliedern aus dem Bereich Sprachwissenschaft und einer in jährlichem Wechsel kooptierten Person aus dem öffentlichen Kultur- und Medienbetrieb. Sprecher der Jury war bis 2011 H.D. Schlosser, seine Nachfolgerin ist Nina Janich, Professorin für Germanistische Linguistik an der TU Darmstadt. Das Ziel der Aktion besteht in der Förderung des Sprachbewusstseins und der Sprachsensibilität der Bevölkerung. Jeder kann eine individuell wahrgenommene sachlich unangemessene oder als inhuman empfundene Formulierung einreichen, über die dann die Jury urteilt. Berücksichtigt werden Einsendungen von Wörtern oder Wendungen, die öffentlich geäußert wurden, eine gewisse Aktualität besitzen, deren Äußerungskontext bekannt und/oder belegt ist und die gegen Prinzipien der sachlichen Angemessenheit oder der Humanität verstoßen, worunter die Prinzipien der Menschenwürde, die Prinzipien der Demokratie, die Diskriminierung gesellschaftlicher Gruppen oder euphemistische, verschleiernde oder irreführende Begriffe gefasst werden. Weitere und aktuelle Informationen über die Aktion „U. des Jahres“ sind zu finden online unter: http://www.unwortdesjahres.net.
  2. Wort jedweder Art, das aus ästhetischen, ethischen oder individuell-biographischen Gründen als inakzeptabel eingestuft wird. Auf der Grundlage dieser weiteren, am allgemeinen Sprachgebrauch orientierten Begriffsbestimmung kritisieren Th. Griesbach und J. Kilian die Aktion „U. des Jahres“ in ihrer Funktion als Sprachkritik: „Die Kriterien der Urteilsfindung sind durch die eigenwillige und einschränkende Definition von ,Unwort‘ festgelegt auf nur einen einzigen Bereich der lexikalisch-semantischen Sprachkritik, nämlich den Bereich des moralisch-ethisch Anstößigen. Dabei wird nicht einmal unterschieden zwischen den oben dargestellten verschiedenen Ansatzstellen der Sprachkritik: Ein individueller Gebrauch zählt hier ebenso viel wie eine diskursspezifische Verwendungsnorm oder gar eine Varietätennorm.“ (Griesbach/Kilian 2001,12). Griesbach und Kilian ordnen die Aktion „U. des Jahres“ demnach nicht einer linguistisch begründeten und im wissenschaftlichen Sinne intersubjektiv überprüfbaren, sondern eher einer populärwissenschaftlichen Sprachkritik zu. Griesbach schlägt zunächst vor, das Bedeutungsspektrum für den Terminus „U.“ zu erweitern. Dabei soll das Spektrum von ethisch-moralisch bestimmten Kriterien bis zu ästhetisch-formal bestimmten Kriterien reichen. „Die semantische Ergänzung bleibt dem jeweiligen Benutzer von Unwort überlassen. Genau dieser Aspekt weist auf eine Chance, denn demnach äußert sich im individuellen Gebrauch von Unwort das individuelle sprachkritische Denken des jeweiligen Benutzers: Unwort wird so zu einem Indikator sprachkritischen Denkens“ (Griesbach 2006, 125). Für Griesbach ergibt sich hierbei durch die semantische Uneingeschränktheit des U.-Begriffs die Möglichkeit, bei der Sammlung diverser Unwörter aus der Bevölkerung einen „breiten Einblick in die unveröffentlichte Sprachkritik, in das Fundament des Eisbergs, zu erhalten. Die Frankfurter Aktion ‚Unwort des Jahres‘ hat diese Chance nicht wahrgenommen“ (Griesbach 2006, 125).

Politolinguistik, Assoziation, deontische Bedeutung, Gefühlswert, Konnotation

Lit. Griesbach, Th., Sprachkritisches Denken in der Bevölkerung – Zur Erforschung laienlinguistischer Wortkritik mit Unwort. In: Aptum. Zeitschrift. für Sprachkritik und Sprachkultur, H. 2, 2006, 121-136. Ders../Kilian, J., Sprachkritik als Unwortkritik. Die Aktion ,Unwörter 2000'‘ und die laienlinguistische Wortkritik. In: Sprachreport 17, H. 3, 2001, 11-17. Schlosser, H.D., Unwort-Kritik als angewandte Linguistik. In: Aptum. Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur, H. 1, 2007,  24-41. Ders., Lexikon der Unwörter. 2000. Wengeler, M., Unwörter. Eine medienwirksame Kategorie zwischen linguistisch begründeter und populärer Sprachkritik. In: Öffentliche Wörter. Analysen zum öffentlich-medialen Sprachgebrauch. In: Diekmannshenke, H./Niehr, Th. (Hrsg.), Öffentliche Wörter. Analysen zum öffentlich-medialen Sprachgebrauch. 2013, 13-33. ABR

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