Prätext

13.12.2016 -  

[engl. pretext, frz. prétexte, russ. претекст] (lat. praetextus ‘Vorwand, Scheingrund’)

Auch: Vorgängertext, Bezugstext. Der Text bzw. die Texte, auf den oder die sich später entstandene Texte beziehen. P. ist ein interdisziplinärer Begriff, der im Zentrum der Intertextualitätsdiskussion und -forschung ( Intertextualität) steht. Meist gilt der P. als schwer bis überhaupt nicht zu identifizieren, wenn davon ausgegangen wird, dass jeder neu entstandene Text ( Nachtext) eine Reaktion auf vorangegangene Texte darstellt, welche wiederum Reaktionen auf andere Texte sind u.s.f. (vgl. Broich/Pfister 1985, 11). „Prätext jedes einzelnen Textes ist damit nicht nur das Gesamt aller Texte (im weitesten Sinn), sondern darüber hinaus das Gesamt aller diesen Texten zugrundeliegender Codes und Sinnsysteme.“ (Ebd. 1985, 13) In der strukturalistischen, hermeneutischen Intertextualitätsforschung ( Strukturalismus, Hermeneutik, Intertextualität) wurde der Versuch unternommen, den weiten Begriff des Prätextes zu präzisieren und dadurch einzugrenzen, dass unter P. nur solche Texte verstanden werden, auf die der Textautor bewusst anspielt, um dem Rezipienten die Bezugnahme auf den P. als zusätzliche Ebene der Sinnkonstruktion erkennbar zu machen. Die Art und Weise, wie sich Texte auf vorausgehende Prätexte beziehen, beschreiben Konzepte der Intertextualitätsforschung. Sie untersucht darüber hinaus, die Dichte und Häufigkeit der intertextuellen Bezüge sowie die Zahl und Streubreite der vorhandenen Prätexte zu anderen Texten ( Intertext).

Als Beispiel par excellence kann die Bibel dienen, aus deren Erzählungen die Schriftsteller bis heute Anregungen ziehen. Die Bibel funktioniert in diesem Fall als P., ist jedoch gleichsam auch ein Intertext, da sie intertextuelle Verbindungen zu anderen vorangegangenen Texten (Prätexten) aufweist. Da die überlieferten (sakralen) Geschichten (eingebunden in kulturelle, historische und textuelle Traditionen) sich jedoch kaum historisch nachvollziehen lassen und wissenschaftlich nicht eindeutig zu ermitteln sind, laufen sie Gefahr, sich im Mythischen zu verlieren ( Mythos), wodurch die Ermittlung des bzw. der Prätexte spekulativ und fast unmöglich wird.

Lit.: Berndt, F./Tonger-Erk, L., Intertextualität. Eine Einführung. 2013. Broich, U/Pfister, M. (Hrsg.), Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. 1985. Busch, A./Stenschke, O., Germanistische Linguistik. Eine Einführung. 2014. Genette, G., Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. 2001. Lachmann, R., Ebenen des Intertextualitätsbegriffs. In: Stierle, K./Warning, R. (Hrsg.), Das Gespräch. 1984. Lachmann, R., Dialogizität. 1982. Sasse, S., Michail Bachtin zur Einführung. 2010. HBR

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